Der Mut zum Abschied - Das letzte Interview
Lonny Kellner. Die Sängerin und Schauspielerin spricht über das Privateste, was es gibt: über Krebs und den bevorstehenden Tod.
Von Heike Gätjen

Wedel - Darüber spricht man eigentlich nicht. Über Krebs und Tod. Angstbesetzte Themen in einer Welt, in der unabdingbarer körperlicher Verschleiß und der Traum von ewiger Jugend im Dauerclinch miteinander liegen. Und auch "weil der Tod", so die 72-jährige Sängerin und Schauspielerin Lonny Kellner-Frankenfeld, "das Privateste ist, was es gibt". Trotzdem. Sie hat sich nach langem innerem Ringen zum Sprechen entschlossen. In der Hoffnung, dass ihre eigene Kraft vielleicht anderen helfen kann, die in derselben Situation sind. Und weil sie ihre Geschichte selbst erzählen möchte, bevor die Boulevardpresse sie zerschreibt.

Das ist kein einfacher Angang an diesem Nachmittag in Wedel am westlichen Stadtrand von Hamburg. In einem gemütlichen Haus, angefüllt von Erinnerungen an den 1979 verstorbenen großen Entertainer des deutschen Fernsehens, Peter Frankenfeld. Den Mann mit der großkarierten Jacke und dem "Hunnenblick", wie sie sagt.


Lonny Kellner-Frankenfeld hat Krebs. Zum dritten Mal. Nur dieses Mal ist ihm nicht beizukommen. Nicht wie vor dreißig Jahren dem Gebärmutterhalskrebs, vor sieben Jahren dem Lungenkarzinom. Metastasen haben von ihrem Körper Besitz ergriffen. "Diese kleinen Dinger, die in mir drin sitzen, fröhlich weiter am Gerüst herumfressen." Ohne sich von ihrem ungebrochenen Lebensmut, ihrer positiven Energie, ihrer mitreißenden Heiterkeit bremsen zu lassen.

Lonny Kellner-Frankenfeld geht mutig, nüchtern und unsentimental damit um. Meistens zumindest, so sagt sie. Mit der großen seelischen Einsamkeit. Dem vielen Grübeln. Unerträglichen Knochenschmerzen, die durch Morphium-Pflaster gedämpft werden. Viermal pro Woche Bestrahlungen. Nicht zur Heilung, sondern nur zur Verbesserung der Lebensqualität. Ein Körper, der brüchig ist, schnell erschöpft. Die Angst vor dem Sterben, das zu qualvoll werden könnte.

Angst vor dem Tod habe sie nicht, sagt sie entschieden. Für sie sei es ein Wiedersehen mit ihrem Peter. Dem Mann, der so sehr am Leben hing, sich entsetzlich vor dem Tod fürchtete und davor, vergessen zu werden.


Die zerbrechlich wirkende Lonny Kellner ist eine Kämpfernatur. Das ist spürbar. Sie sagt es, und auch ihre beiden engsten Vertrauten: ihr Sohn, der Hamburger Journalist Thomas Frankenfeld, und der bekannte MDR-Moderator André Holst, mit dem sie, seit er den Peter-Frankenfeld-Gedächtnispreis für künstlerische Vielseitigkeit und humanitäres Engagement vor zwei Jahren bekam, eine tiefe Freundschaft verbindet. "Ich muss da einfach durchkommen", hat sie für sich entschieden. Nach dieser Nachricht vor wenigen Wochen, die sie "wie ein Schlag ins Herz getroffen hat". Sie erinnert sich ihrer Fragen, auf die es ohnehin keine Antwort gibt: Wie lange noch? Ein paar Tage, Wochen, Monate? An das totale Erschrecken ihres Sohnes, seine Tränen und die gemeinsame Hilflosigkeit.


Nein, wegsortieren könne man das alles nicht. Bei aller Lebenskraft nicht. Aber sie hat einen Halt gefunden. In einer Bestandsaufnahme. Angelehnt an die "Memoiren des Peter Hans von Binningen", des Schriftstellers Curt Goetz. "Der sitzt an seinem Schreibtisch, und der Tod kommt herein. Goetz fragt: ,War das alles?' Der Tod sagt: ,Das war alles, was du daraus gemacht hast.'" Sie habe aus dem, was ihr zur Verfügung stand, einiges gemacht, was sie vor sich verantworten und vorzeigen könne. Ein Leben ohne Misstrauen und Aggressivität, voller Tatendrang, Begeisterung und Liebe. Mit von grenzenlosem Glück erfüllten Höhen, aber auch von Krankheit und Verlust geprägten gewaltigen Abstürzen. "Ich hätte nie auf ein Leben so in der Mitte zurückblicken mögen."

Und dann bricht großes Gelächter aus. Mit Peter Frankenfeld an der Seite gab es kein sanftes Dahingeplätscher. Das war ein pralles Leben. Glück, Liebe, Chaos, unermüdliche gemeinsame Arbeit. 24 Stunden am Tag, 24 Jahre lang. "Keine Ehe, in der der Mann abends nach Hause kommt, sich ne Buddel Bier holt, die Füße auf den Tisch legt und seine Frau ihn fragt: Was hast du heute gegessen?"


Lonny und Peter - ein Fundus für Gekicher und ansteckende Heiterkeit. Darüber wird der Kaffee kalt. Lonny Kellner vergisst das zweite Stück Torte. Sie haben alles gemeinsam durchlebt. Die großen Erfolge wie "Peters Bastelstunde" und "Aktion Sorgenkind". Die schmerzhafte Zeit, als in den 70er-Jahren plötzlich kein Platz mehr war im ZDF für den begnadeten Entertainer, der seine Sketche selber schrieb, mit heute unüblicher Akribie jede Sendung von Anfang bis Ende plante, ausfeilte. Und der dann doch reumütig zurückgeholt wurde. Mit "Musik ist Trumpf" wieder an der Spitze stand.

Für Peter, ihren Glücksgriff nach der ersten "ins Unreine geheirateten Ehe", lernte sie alles: Schreibmaschine schreiben, kochen, planen, organisieren. War Muse, Gastgeberin, Gärtnerin in einem. Die sonnige Lonny Kellner, die mit 13 schon Schauspielunterricht bekam, mit 18 ihren ersten Hit "Im Hafen von Adano" landete und in der zweiten, im Bunker auf dem Heiligengeistfeld produzierten TV-Unterhaltungssendung vor der Kamera stand. Für ihren Peter gab sie auch alles auf, sogar eine Einladung in die USA. "Es war die große Liebe, die er zuerst nicht für möglich gehalten hatte. Männer sind da so ein bisschen zurückhaltender."

Der Sturz nach seinem plötzlichen Tod war tief und grausam. Sich da "wieder rauszurappeln", brachte sie an die Grenze ihres eigenen Lebenswillens. Sie hat es geschafft, seinen Nachlass verwaltet, daraus Bücher zusammengestellt, trat wieder auf der Bühne, in Film und Fernsehen auf. "Ich habe eine positive Lebenseinstellung. Auch heute noch. Dafür kann man nix", sagt sie lakonisch.


Sie sollte sich jetzt noch mal schnell, sagt sie plötzlich, alle verrückten Wünsche erfüllen, habe ihr kürzlich ein Freund geraten. "Die California Dream Boys vielleicht, wenn du die mal nackert sehen möchtest. Zentnerweise Kaviar. Tu was Verruchtes." Ihr sei nichts eingefallen. Der Adventskranz in der Ecke. Vielleicht das. Einfach so gekauft. Lange vor dem 1. Advent. "Ist das verrucht?", fragt sie lachend. Sie möchte eigentlich nur die beiden letzten großen Geschenke ihres Lebens genießen: ihren 21 Monate alten Enkel David Leon, der sie zärtlich Mimi nennt, ihre Salmiakpastillen liebt und traurig ist, wenn er hört, dass es seiner Mimi nicht gut geht.

Und André Holst, mit dem sie verreist, lacht, seine Auftritte durchspricht, Erinnerungen an Peter Frankenfeld austauscht. Sie möchte, "so spießig sich das anhört, es nur gemütlich haben". Mit ihrer Familie um sich herum. Sohn, Schwiegertochter und Enkel, die auf demselben Grundstück leben. Ein bunter Teller zu Weihnachten, Hummer, Kerzen.

Und sie möchte ihren Abschied aus dem Leben selber planen. Mit der ihr eigenen Energie und Perfektion. Mit dem Pfarrer ist sie schon im Gespräch. Und die Musik. Sie summt ein paar Takte vor sich hin. Leise und verhalten. "Lullaby of Birdland". Seit den 50er -Jahren Erfolgshit des englischen Jazzmusikers, Pianisten und Komponisten George Shearing. Für Lonny und Peter ein lebenslanger Geheimcode. Die Begleitmelodie einer leidenschaftlichen Liebe. Weil ihr die Stimme jetzt doch ein bisschen wegsackt, rettet sie sich in Kellner-Frankenfeldsche Flapsigkeit: "Dann hört er wenigstens, dass ich im Anmarsch bin und wird sagen: Wie schön, dass du da bist!"

erschienen am 9. November 2002 im Hamburger Abendblatt