Auf dieser Seite geben wir Ihnen spannende Einblicke über wahre Ereignisse und Hintergründe, die sich hinter den Kullissen des deutschen Fernsehens ereignet haben.
Aus dem Tagebuch von Lonny Kellner:
Der Direktor läßt bitten ...
Wir kehrten aus den Sommerferien zurück, 1969, als uns der Brief des Programmdirektors des ZDF ins Haus flatterte. Joseph Viehöver bat, wir möchten zu einer Besprechung nach Mainz kommen. Das Thema konnte eigentlich nur die neuerliche Verlängerung des „Vergißmeinnicht“ - Vertranges bedeuten; zum Programmdirektors nach Mainz wird man gebeten, wenn es um Verträge geht.
„Vergißmeinnicht“ war über vierzigmal gesendet worden, also zehnmal mehr bereits als ursprünglich vorgesehen ; wir waren überzeugt, mehr als 50 Sendungen zu schaffen. „Vergißmeinnicht“ zählte (nach „High Chaparel“, „Aktenzeichen XY“... und „Der Kommissar“) in seinem sechsten Sendejahr noch immer zur Spitzengruppe der ZDFSendereihen (vor dem „Goldenen Schuß“). Daß in Wien die Vorproben für die neue Unterhaltungsserie „Wünsch dir was“ anliefen, nahmen wir zur Kenntnis – ja und?
Wir waren guter Dinge, als wir nach Mainz aufbrachen; im Büro des Programmdirektors jedoch verflog unser Optimismus. Das Büro wurde enger und enger, so viele Herren erschienen. Die meisten kannte ich gar nicht. Sie setzten sich um den Clubtisch und rahmten so den Direktor ein; Joseph Viehöver saß uns gegenüberm wir hatten die Couch zugewiesen bekommen. Kaffee wurde verteilt; Peter lehnte sich entspannt nach hinten, als störten sie. Dann rieb sich Viehöver verlegen die Hände und sagte : „Ja, Herr Frankenfeld, wir haben uns hier das nun doch mal überlegt, daß wir jetzt also mal was anderes machen wollen...“
„Ja – und was?!“
„Also nicht mehr ‚Vergißmeinnicht’.“
„Aha...“, reagierte Peter nur, ohne den Inhalt des Satzes schon zu begreifen. Der Satz hatte uns beide verblüfft. Eine Pause entstand. Alle Herren klapperten mit ihren Kaffeetassen. Viehöver holte Luft. Es sei am besten, führte er weiter aus, mit der 47. Sendung aufzuhören... Mit der 47.? Peter war aufgewacht. Er erwähnte, wie überrascht er sei, und sagte, er hänge an der Serie; vielleicht könnte man wenigstens mit der 50. ein Jubiläum feiern... 50? Viehöver drehtesich zu den Herren hin, die an seinen Lippen hingen; 50 – ach Gott, nein, dann müßten ja die letzten drei noch über die Sommerpause gezogen werden, das sei nicht sinnvoll und ehrlich: wen interessiere es schließlich, ob 47 oder 50 Sendungen gemacht werden? Nein, das ZDF vertrete die Auffassung, 47 „Vergißmeinnicht“« - Sendungen seien genug. Die Zusammenarbeit sei gut gewesen, dafür Dank ; und ja, man habe sich nicht ohne Bedauern zu dieser Entscheidung durchgerungen, doch nun sei sie gefallen; er, Viehöver müsse bitten, sie auch zu akzeptieren.
Ich hätte am liebsten geschrien, so erregt war ich. Und so wütend. Wie sollte es weitergehen? War dies das Ende der Arbeit fürs ZDF? Warum? Was steckte dahinter? Ich wollte es wissen, wollte fragen doch Peter blieb still. So hatte er sich von jeher verhalten, wenn er an die Wand gedrückt worden war. Er ergriff meine Hand. ‚Laß sein ’, sollte diese Geste bedeuten. Und zu den Herren gewandt sagte er: „Ich glaube, wir können uns jetzt verabschieden, der Zweck ist erreicht.“
Im Flugzeug bestellte ich zwei doppelte Whisky; zu Hause, am Abend, kauerten wir uns zusammen, und Peter meinte, das Schimpfen brächte nichts, aber wenn es mir helfen würde, sollte ich schreien, schimfen, toben, „ ich kann es nicht, ich hab was im Hals...“ Er erhob sich. Er durchquerte ein paarmal den Raum: hin und her, her und hin; dann stoppte er. „Aber“, sagte er, „ wir werden weitermachen. Diese Herren haben ihre Anstalt, wir haben die Ideen." Von der Idee des ZDF, unsere "Vergißmeinnicht“ – Serie mit der von Wim Thoelkes "3 × 9" fortzusetzen, ahnten wir nichts.
Nach der Neubesetzung des Posten des ZDF-Programmdirektors und des Chefs der Unterhaltungsabteilung wurden die gekappten Beziehungen zu Peter wieder geknüpft. Zuerst engagierte Peter Gerlach, der Unterhaltungschef, Peter als Conférencier einer Evergreen-Gala, in der sich von Mona Baptiste bis Helmut Zacharias lauter Evergreen-Stars tummelten; danach holte er ihn für zwei weitere Galas im selben Stil. Denn es stellte sich heraus: Die Sendungen kamen beim (gesetzteren) Publikum so gut an wie sonst nur die Peter-Alexander-Show. Dieses Publikum war in der ersten Hälfte der 70er Jahre vom Fersehprogramm vor allem enttäuscht worden; die Macher machten kein Programm mehr für die Mehrheit, sondern eines für minderheiten.
Sogar am Samstagabend wirkte sich das institutionalisierte Sendungsbewußtsein aus: die große Unterhaltungsshow ohne Zeigefinger wich der kleineren mit Zeigestock. Es sollte nicht gelacht, es sollte etwas bewirkt werden. Der unernste sollte ein ernster, der unentschiedene ein entschiedene ein entschiedener Mensch werden, Veränderung war das Ziel, der Moderator Missionar. Der missionarische Moderator betörte jedoch nicht die Mehrheit benötigen Fernsehanstalten aber genauso wie Theater-, Zirkus- und Kinobesitzer, die mit ihr überleben. Öffentlich-rechtliches Fernsehen wird zuletzt auch am Erfolg des Programms gemessen; eine Sendung, die Millionen einschalten, gilt als erfolgreicher als andere, welche nur Tausende wahrnehmen.
Ab der zweiten Hälfte der 70er Jahre setzte sich die Macht der Zuschauerzahlen wieder durch; gezielte Gruppenbefragungen bestätigten sie. Peter Gerlach schloß daraus: Wenn die Mehrheit nicht zu bewegen ist, sich wie eine Minderheit zu verhalten, erhält sie in Zukunft einen Bonbon wieder, den sie anscheinend am liebsten lutscht – die große alte (und für tod erklärte) Unterhaltungsrevue mit Musik, Tanz und vielen Stars.
Da er zu dieser Schlußfolgerung im Sommerurlaub gekommen war, am Strand von Sylt, konnte er sie in Mainz erst nach dem Urlaub verbreiten. Die Reaktion verunsicherte ihn. Gerlach war noch ganz kurze Zeit beim ZDF und noch kürzer für die Unterhaltungsabteilung verantwortlich. Er hatte seinen Plan erläutert und angefügt: „Die musikalische Unterhaltungsrevue müßte Wunschkonzertcharakter haben, und für die Präsentation kommt nach Erfolg der Evergreen-Gala nur einer in Frage – Peter Frankenfeld.“
Bis auf einen zuckten alle zusammen und hoben die Hände. „Um Himmels willen“, beschworen sie Gerlach, „der Frankenfeld ist doch out!“ Wer oder was in oder out war, war in den 70ern die häufigst gestellte Frage.
Der eine, der nicht zusammenzuckte und nicht die Hände hob, war der ZDF-Redakteur Harald Müller. Er fand Gerlachs Plan vielmehr richtig und gut. Und so verbündete sich disese ZDF-Minderheit, um der Publikumsmehrheit zu ihrem Bonbon zu verhelfen, und meldete sich in Wedel zu einem Besuch an. Peter und ich wußten nicht, was sie wollten. Wir gingen davon aus, in jedem Fall wollen sie etwas essen. Ich kochte entsprechend und wie üblich zu viel.
Schon vor dem Essen wurde geredet, nachher noch mehr. Und dann ließ Gerlach das Kaninchen aus dem Zylinder – aber welche Überraschung : Peter sprang nicht an die Decke vor Freude. Peter war im Gegenteil zutiefst enttäuscht : "Dafür braucht ihr mich? Ich soll die Musik von dem und dem und die und die Sängerin ansagen – weiter nichts?!" Er verstand nicht, daß seine Kreativität außer acht bleiben sollte; hatte ihn nicht seine Kreativität zu dem Entertainer werden lassen, der eine Sendung trägt? In seinen Sendungen war die Ansage nie mehr als ein Teilchen des Ganzen gewesen, hatten das alle vergessen!?
Gerlach und Müller beruhigten ihn. Sie sagten, sie seien ja gekommen, um einer Wunschkonzert-Reihe den Stempel einer Frankenfeld-Sendereihe verpassen zu können. Und sie fragten, wer würde das besser hinkriegen als Frankenfeld selber...? Peter hob die Brauen, er hörte Komplimente nicht ungern. Gerlach und Müller stießen nach. Sie erläuterten den Rang, den die Serie innerhalb der Programmplanung einnehmen würde, sie sprachen von der beabsichtigten Kopplung der Sendung mit dem Rundfunk und von dem Vorsatz, diese Fernseh-Funk-Sendung auch noch als Schallplatte herauszubringen, deren Verkaufserlös einem wohltätigen Zweck diene – Peter entzündete sich : „Ach so ist das gedacht? Ja, dann...“
Er stand auf und holte Papier und Bleistift. „Also“, sagte er und begann zu zeichnen, „der Wunschzettel fürs Publikum könnte so aussehen...“ Jetzt, wußte ich, hatte er angebissen, und wenn er angebissen hatte, war er nicht mehr vom Haken zu trennen. Der Haken, genauer die Sache, ging ihm über alles. Und ich glaube, Peter Gerlach, der junge Unterhaltungschef des ZDF, atmete auf, seinen Kopf durchgesezt zu haben; Peter Frankenfeld entpuppte sich als der Juliusturm für Unterhaltung, den er in ihm gesehen hatte.
Peter war wie neugeboren. Kein Tag verging, an dem er keine Vorschläge machte, und der Tag hatte 24 Stunden. Peter war 61. Es war November 1974.
Am 22. Februar 1975 war in der Philippshalle in Düsseldorf vor rund 2500 Zuschauern Premiere der neuen ZDF-Reihe MUSIK IST TRUMPF, Samstagabend – ein Abend, der Millionen an die Bildschirme fesselte und bei diesen Millionen Übereinstimmung hervorrief : „So schön wie einst, so war’s mal wieder.“
Peter widerfuhr ein Triumph. Die Halle begrüßte ihn so begeistert, als sei er heimgekehrt, und sie entließ ihn erst nach Ovationen. Das ZDF registrierte anderthalb Stunden nach der Sendung noch Anrufe und hörte auf, sie zu zählen; seit Peter Alexanders erster Spezialitätenshow fünf Jahre zuvor hatte es das nicht mehr gegeben. Jeder dritte Anrufer wollte Dank sagen. Beim ZDF breitete sich Euphorie aus, und es gab keinen Redakteur mehr, der nicht behauptete, es schon immer gewußt zu haben, wie unschlagbar der Frankenfeld sei. Die Post beförderte 25 Pfund Glückwunschtelegramme. Reporter bestürmten Peter : “Machen Sie weiter ?“
„Ich fange gerade an!“